ARLENE  SAUNDERS

 
5. Oktober 1930 -  17. April 2020

 

ARLENE  SAUNDERS  -  EINE KARRIERE

 

In den 1960er und 70er Jahren war sie die „Primadonna assoluta“ der Hamburgischen Staatsoper während der Liebermann-Ära. Nun wurde auch Arlene Saunders ein prominentes Opfer der zur Zeit grassierenden Corona-Pandemie.

Geboren am 5. Oktober 1930 in Cleveland, Ohio, als Arlene Pearl Soszynski, entdeckte sie schon als 10jährige ihre Leidenschaft für die Oper, und so studierte sie nach der High School Gesang am dortigen Baldwin-Wallace College of Arts. Ein erstes Engagement führte sie an die National Opera Company in Raleigh, North Carolina, wo sie u.a. die Rosalinde in der „Fledermaus“, „Donna Elvira“ in „Don Giovanni“ und sogar die Titelrolle in Cole Porters Musical „Kiss me Kate“ sang. Bei einem Wettbewerb amerikanischer Opernsänger in New York errang sie den ersten Platz und erhielt ein Stipendium, mit dem sie nach Italien ging, wo sie ihre Gesangsstudien vervollkommnete und in Mailand am Teatro Nuovo ihr Rollendebüt als Mimi in Puccinis „La Boheme“ geben konnte. Zurück in Amerika engagierte Julius Rudel sie an die New York City Opera, wo sie als Giorgetta in Puccinis „Il Tabarro“ debütierte und in Partien des lyrischen Sopranfachs besetzt wurde, u.a. in Charpentiers „Louise“ und als Micaela in „Carmen“. Ein weiteres Engagement führte sie an die Cincinnati Opera, wo sie die Partien Fiordiligi in „Cosi fan tutte“, Donna Elvira in „Don Giovanni“, und Marguerite in „Faust“ sang. Mit der New Yorker Metropolitan Opera ging sie auf die jährliche MET-Tour quer durch die USA und sang das Evchen in den „Meistersingern“ und Rosalinde in der „Fledermaus“ (alternierend mit Beverly Sills).

1963 war Rolf Liebermann, Intendant der Hamburgischen Staatsoper, auf Talentsuche in New York,  Arlene Saunders sang für ihn die  Arie der Magda aus Puccinis „La Rondine“ und wurde vom Fleck weg engagiert. Hamburg wurde nun ihr Zuhause und ihr künstlerischer Lebensmittelpunkt. Mit ihrem neu erworbenen weißen Karmann-Ghia liebte sie es, die Stadt und das Hamburger Umland zu erkunden. Ihre Hamburger Debüt-Partie war die Pamina in der „Zauberflöte“, für die sie dann auch gleich gastweise ans Staatstheater Stuttgart engagiert wurde, auch für die Mimi luden die Stuttgarter sie sogleich ein. In Hamburg folgten Rollendebüts als Marzelline in „Fidelio“, Marie in „Die verkaufte Braut“, Liu in „Turandot“ (mit Birgit Nilsson und James McCracken), Iphis in „Jephta“, Antonia in „Hoffmanns Erzählungen“, Fiordiligi in „Cosi fan tutte“, und Ann Truelove in „The Rake's Progress“ (die Premierenserie dirigierte Igor Strawinsky persönlich). Ihr Hamburger Festvertrag ließ ihr jedoch genügend Freiraum für internationale Gastspiele, und so sang sie 1965 die Micaela in „Carmen“ (mit Marilyn Horne, Franco Corelli und Justino Diaz) in Philadelphia, 1966 die Pamina beim Glyndebourne Festival, 1967 die Marguerite in „Faust“ (mit Alfredo Kraus) an der San Francisco Opera, dort folgten Charpentiers „Louise“ und Freia in „Rheingold“. Sie gastierte als Mimi in Florenz und an der Mailänder Scala, und gab in Toronto ihr Kanada-Debüt in Glucks „Orfeo ed Eurydice“. In Lausanne, Schweiz, war sie die Donna Elvira in „Don Giovanni“ (mit Gérard Souzay, Michel Sénéchal und Beverly Sills). An der Wiener Staatsoper debütierte sie als Marzelline in „Fidelio“, sang dort auch Eva und Donna Elvira. Mit der Deutschen Oper Berlin schloß sie 1967 einen Gastvertrag und debütierte dort als Nedda in einer Neuinszenierung des „Bajazzo“.

In Hamburg erweiterte sie ihr Repertoire um Partien wie Tatjana in „Eugen Onegin“, „Figaro“-Gräfin, Agathe im „Freischütz“, um mit der Elsa in „Lohengrin“ endgültig ins jugendlich-dramatische Sopranfach zu wechseln (in dieser Premiere sang Placido Domingo seinen ersten Lohengrin). Es folgten Neuinszenierungen von „Arabella“, „Ariadne auf Naxos“ (mit dieser Produktion gastierte die Hamburgische Staatsoper auch beim Edinburgh Festival), „Tannhäuser“/Elisabeth (in der Regie von Harry Meyen, dem damaligen Ehemann von Romy Schneider, was dem Premierenabend einen besonderen Glamour verlieh, denn auch Magda Schneider und viele andere Größen des deutschen Films waren zugegen), „Die Walküre“/Sieglinde, sowie ihre erste “Tosca“. Die Tosca sang sie kurz darauf in Cincinnati, dort auch die Mimi. Es folgte eine „Arabella“-Neuproduktion in Amsterdam, und an die San Francisco Opera kehrte sie zurück als Eva für eine Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ (mit Theo Adam und James King als Partner). An der Boston Opera Company debütierte sie als Natascha in der amerikanischen Erstaufführung von Prokoffievs „Krieg und Frieden“ (inszeniert und dirigiert von Sarah Caldwell), und in Washington sang sie die  Uraufführung der eigens für sie von Alberto Ginastera komponierten Oper „Beatrix Cenci“, mit der das J.F. Kennedy Center for the Performing Arts 1971 feierlich eröffnet wurde, diese Produktion wurde später von der New York City Opera übernommen. Auch an der Hamburger Staatsoper wirkte Arlene Saunders bereits in zwei Opern-Uraufführungen mit, in Giselher Klebes „Jakobowsky und der Oberst“ (Marianne) - mit der die Hamburger Staatsoper eine Gastpielreise an die New Yorker MET unternahm, gemeinsam mit „The Rake's Progress“ und dem „Freischütz“ -, und in Giancarlo Menottis „Hilfe, Hilfe, die Globolinks“ (Madame Euterpova), welche auch verfilmt wurde. Weitere Opernfilme der Rolf-Liebermann-Produktionen, in denen Arlene Saunders mitwirkt, sind „Figaros Hochzeit“ (Gräfin), „Der Freischütz“ (Agathe), „Die Meistersinger von Nürnberg“ (Eva), und „Arabella“ (bei Arthaus auf DVD erhältlich). Im Dezember 1972 gab es an der Hamburger Staatsoper die Uraufführung von Paul Burkhards Oper „Ein Stern geht auf aus Jaakob“, in der Arlene Saunders die Maria und Vladimir Rudzak den Josef sang, diese Oper wurde fürs Fernsehen aufgezeichnet und am Weihnachtsabend ausgestrahlt. Ein weiterer Fernsehfilm ist Carl Millöckers „Gasparone“ mit Arlene Saunders als Carlotta, Barry MacDaniel in der Titelpartie, sowie Martha Mödl und Benno Kusche (als Zenobia und Nasoni). In dieser Zeit nahm Arlene Saunders für Philips die Operetten „Der Zarewitsch“ und „Der Graf von Luxemburg“ auf. Bei RCA waren bereits Mendelssohns „Sommernachtstraum“ unter Erich Leinsdorf, und Mozarts „Il Re Pastore“ (mit Arlene Saunders als Tamiri sowie Lucia Popp, Reri Grist und Luigi Alva) erschienen.

Auch als Konzertsängerin war Arlene Saunders stets aktiv, so sang sie u.a. Beethovens „Missa solemnis“ unter Leonard Bernstein beim Tanglewood Festival, Richard Strauss' „Vier letzte Lieder“ und Franz Schrekers „Lieder von Walt Whitman“ unter Erich Leinsdorf in der Berliner Philharmonie, Haydns „Schöpfung“ unter Igor Markevitch in Monte Carlo, Beethovens Neunte in der Hamburger Musikhalle, Geoffredo Petrassis „Orationes Christi“ unter Massimo Freccia in Berlin; auch Liederabende gab sie u.a. in Hamburg, Hannover und Oslo mit Liedern von Richard Wagner, Richard Strauss, Franz Liszt, Heitor Villa-Lobos, Silvestre Revueltas, Aaron Copland und Samuel Barber.

Die 1970er und 80er Jahre verliefen weiterhin höchst erfolgreich für Arlene Saunders: An der Hamburgischen Staatsoper folgten weitere Rollendebüts als Marschallin im „Rosenkavalier“, als Gräfin in „Capriccio“, und als Chrysothemis in „Elektra“. An der Opéra de Paris debütierte sie in einer „Tosca“-Neuinszenierung (mit Placido Domingo und Gabriel Bacquier als Partner unter der Leitung von Charles Mackerras), sang die Sieglinde in einer Neuinszenierung der „Walküre“ in der Regie von Peter Stein, in späteren Spielzeiten dort auch die Chrysothemis/“Elektra“ und die Marschallin. Eine besonders beachtete Pariser Produktion war die Ballett-Inszenierung von Richard Strauss' „Vier letzte Lieder“, von Maurice Béjart choreogrphiert und mit Arlene Saunders singend und agierend inmitten der Tänzerinnen und Tänzer ins Bühnengeschehen integriert.

An der Seattle Opera sang sie die Marschallin in einer Neuproduktion des „Rosenkavalier“, diese Partie auch in Brüssel und in Stuttgart. Am Opernhaus Köln sang sie ihre erste Senta im „Fliegenden Holländer“ sowie eine weitere „Tosca“-Neuinszenierung. Als „Tosca“ war sie ebenfalls Gast am Teatro Nacional Sao Carlos in Lissabon. In Turin wirkte sie mit in einer RAI-Rundfunkproduktion von Hindemiths „Cardillac“ (Partie der Tochter). An die Wiener Staatsoper kehrte sie zurück als Donna Elvira und als Elsa. Es folgten Auftritte an der New Yorker Metropolitan Opera als Eva in den „Meistersingern“ (mit Thomas Stewart und Jean Cox), und als Elsa  in einer „Lohengrin“-Neuproduktion in Hartford (mit Karl-Walter Böhm und Mignon Dunn). Schließlich gab sie ihr Rollendebüt als Minnie in Puccinis „La Fanciulla del West“ an der Boston Opera. Die Minnie wurde zu einer ihrer Lieblingspartien, mit der sie auch an die New York City Opera zurückkehrte und die sie 1979 ans Teatro Colón Buenos Aires (mit Placido Domingo und Gianpiero Mastromei als Partner) und schließlich 1980 ans Londoner Royal Opera House Covent Garden führte. An der English National Opera North in Leeds gastierte sie als Senta (mit Norman Bailey als „Holländer“) und sang dort 1982 höchst erfolgreich ihre erste „Manon Lescaut“. In London sang sie die Titelpartie in Richard Strauss' „Die Liebe der Danae“ in einer BBC-Rundfunkproduktion unter der Leitung von Charles Mackerras, die auf CD erschienen ist. Am Grand Théatre de Genève sang sie zur Saisoneröffnung 1980-81 die Elsa im „Lohengrin“ und die Marschallin im „Rosenkavalier“. Weitere Rollendebüts gab Arlene Saunders als Nadia in der amerikanischen Erstaufführung von Michael Tippets „The Ice Break“ in Boston, als Santuzza in „Cavalleria rusticana“ in Buenos Aires, als Marquise in Verdis „Un Giorno di Regno“ beim Verdi-Festival in San Diego, und als Giulietta in „Les Contes d'Hoffmann“ an der Hamburger Staatsoper, wo sie im Rahmen ihres Gastvertrages weiterhin die Marschallin, Mimi, Tosca, Elsa, Senta, Chrysothemis, sowie während der Weihnachtszeit stets die Gertrud in „Hänsel und Gretel“ sang (sie war 1972 die Premieren-Gertrud).

Es folgten weitere interessante Engagements beim Maggio Musicale Fiorentino, Florenz, als „Tannhäuser“-Elisabeth (mit Wolfgang Neumann, Hermann Prey und Brenda Roberts in den anderen Hauptpartien), als „Tosca“ am Teatro dell'Opera in Rom, als Marschallin in Neuproduktionen des „Rosenkavalier“ in Boston, Bordeaux und Bonn sowie beim Viennese Festival in Minneapolis, und als Senta im „Holländer“ beim Wolf Trap Festival. Ihr australisches Debüt gab sie in der Saison 1983-84 an der Australian Opera in Sydney in ihrer Paraderolle, der Minnie in „La Fanciulla del West“, der Rundfunkmitschnitt dieser Premiere ist auf CD erschienen. Ihren Abschied von der internationalen Opernbühne nahm sie in der Saison 1985/86 als Marschallin in einer Neuinszenierung des „Rosenkavalier“ am Teatro Colón in Buenos Aires, um sich ins Privatleben zurückzuziehen, sich ihren zahlreichen Hobbies zu widmen - unter anderem der Aquarell-Malerei -,  und von Hamburg nach New York zu übersiedeln. Dort lebte sie mit ihrem Ehemann, dem Psychologen Dr. Raymond Raskin bis zu dessen Tod 2017 in einer schönen großen Wohnung mit Blick auf den East River. Am 17. April starb Arlene Saunders, 89jährig, in einer New Yorker Seniorenresidenz. Als unvergleichliche Interpretin insbesondere von Strauss-, Wagner- und Puccini-Partien wird sie uns unvergesslich bleiben.

Wolfgang Schmitt